Dienstag, 31. Juli 2007

Nachtrag Wochenende: Regen, Regen, Regen

Immer stärker werde ich mir der Ironie bewusst, meinen Blog „Ethiopian Summer“ benannt zu haben, obwohl hier ja eigentlich die Zeit des äthiopischen Winters herrscht. Obwohl ich mich davor scheue, eine Umbenennung in „Ethiopian Winter“ vorzunehmen, denn geografisch wäre das mindestens genauso unsinnig, befinde ich mich ja nach wie vor auf der Nordhalbkugel – demnach ist hier Sommer – nur dass die Regenzeit (die kälteste Zeit hier) eben bewirkt, dass es „Winter“ genannt wird.
Es ist Samstag und ich sitze auf meinem Zimmer. Ja, ich bin es, der Diener. Diesmal weniger, weil es mich wegen meiner Faulheit danach gelüstet, als vielmehr, weil mich das Wetter dazu verdammt hat. Regen ist eine Sache – der unbarmherzig niederprasselnde, innerhalb von Sekunden (und ich rede hier von nicht mehr als 3-5 Sekunden!) alles durchnässende Regen, der von allen Seiten zu kommen scheint (es sind wirklich unwahrscheinlich dicke Tropfen), das ist eine ganz andere Sache! Und heute hatte ich Recht damit, im Hause zu bleiben und keine Erkundungstouren zu machen: Der Regen hörte nämlich nicht auf, wie es sonst der Fall ist. Oder wurde zumindest schwächer, um dann umso lebhafter wieder loszulegen. Nein, die einzige Abwechslung die er sich gönnte war es, ab und an zu dem lauten Brausen anzuschwellen, das ich ja bereits kenne, um dann einen Hagelschauer niedergehen zu lassen. Mein Entschluss, doch noch einen Nutzen aus dem heutigen Tage zu ziehen, bringt mich dazu, mal zur Abwechslung der Universität zu dienen, nicht dem edlen, kleinen Prinzen und nicht dem inneren Schweinehund, der mich munter vor sich hinschlummernd dazu überreden will, mich zu ihm zu gesellen und den Tag zu verdösen. Ich widme mich also dem Verfassen einer Arbeit, für die ich als Quellen nur mein eigenes Gedächtnis und meine eigenen Gedanken und Überlegungen hinzuziehen brauche (was gut ist, denn Literatur konnte ich aufgrund Gewicht und beschränktem Platz im Gepäck sowieso nicht mitnehmen), den Rest der Zeit verbringe ich damit, mein Buch fertig zu lesen: „Afrikanisches Fieber“. Vroni hat es mir im Hinblick auf mein Praktikum zum Geburtstag geschenkt. Der Autor, ein polnischer Journalist und Auslandskorrespondent, beschreibt darin die Eindrücke seiner Reisen durch viele afrikanische Länder, auch Äthiopien ist vertreten. Vielen Eindrücken kann ich mich anschließen, manchen muss ich widersprechen (was sicher auch daran liegt, dass doch ein paar Jahre vergangen sind). Einiges wird mir klarer. Vor allem, dass mich der Eindruck nicht getäuscht hat, dass die Menschen hier von einer anderen Selbst- und Weltauffassung ausgehen. Ich denke, eine seiner Beschreibungen hat es ganz gut getroffen: Durch die schwierigen Lebensumstände die viele Gebiete Afrikas mit sich bringen, ist ein Leben als Einzelner oft unmöglich. Daraus ergibt sich (das ist beobachtbar und wurde mir gegenüber auch von Äthiopier/innen erwähnt) die Tatsache, dass diese Leute so gut wie nie alleine sind. Auf der Straße gehen sie nie alleine, immer finden sie jemanden, dem sie sich anschließen, in der Arbeit wird ständig interagiert: hat man gerade keinen Besuch, dann schnell rüber ins Nebenbüro oder es wird telefoniert. Im größeren Ausmaß bedeutet das, dass es auch eine starke Familienbindung gibt. Und zu der Familie gehören dann so viele Leute, dass das für mich schon schwierig nachzuvollziehen wird. Im Endeffekt ufert das ganze dann in der ethischen Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen aus. Die rivalisieren, sich gegenseitig unterdrücken und beherrschen (im schlimmsten Falle umbringen). Es gibt kein homogenes Staatsvolk. Die Landessprache Amharisch war ursprünglich die Sprache der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe, der Amharer. Diese stellen auch die geistige, politische und ökonomische Elite dar. Kein Wunder also, dass gerade an der Universität, Bildungsstätte zukünftiger Intellektueller, das Konfliktpotenzial besonders groß ist. Ein Student beklagt sich: Die Anrede eines Professors im Unterricht erfolgt nach der ethnischen Gruppenzugehörigkeit: „Du, Oromo“,...

Ein Stück äthiopischer Geschichte:
Das Regime Mengistus wurde nach 17-jähriger Herrschaft im Sommer 1991 gestürzt (das ist also noch nicht so lang her). Der Führer selbst setzte sich nach Zimbabwe ab, wo er bis zum heutigen Tag verweilt. Auf seinen Befehl wurden über 30 000 Menschen erschossen (vermutlich waren es wesentlich mehr; auch 100 000 werden als „konservative Quelle“ bezeichnet, andere reden von 300 000). Vergleichsweise könnte man also einmal annehmen, es würde sich um die Größenordnung Klagenfurts handeln.
Das Schicksal seiner Armee ist bemerkenswert: Mengistu hatte mit Hilfe Moskaus die größte Armee Afrikas südlich der Sahara aufgebaut: 400 000 Soldaten, Raketen und chemische Waffen.
Als die Partisanen drängten die Regierungstruppen bis Addis Abeba zurück. Als diese erfuhren, dass ihr Führer geflohen war, zerfiel die gigantische Armee innerhalb weniger Stunden, zurück blieben demoralisierte, hungrige Soldaten. In der einen Hand die Kalaschnikow, streckten sie die andere aus, um zu betteln.
Shimelis Mazengia, Ideologe des Mengistus-Regimes beurteilt seine eigene Rolle in der obersten Führung des gestürzten Regimes, das so viele Todesopfer und Zerstörung verschuldet hat, philosophisch: Die Geschichte ist ein komplizierter Prozess. Die Geschichte macht Fehler, sie weicht vom Weg ab, sie sucht, manchmal gerät sie in eine Sackgasse. Erst die Zukunft kann ein Urteil sprechen, das rechte Maß finden.

Keine Kommentare: